Beat Wuethrichs kurze Rhabarbergeschichte

Menge: 1 Text

Zutaten:
Rhabarber
Weltwoche 14/1997 MM von Rene Gagnaux

Beat Wuethrich schreibt…


Sauer waren sie, die Rhabarberstiele, die wir als Kinder frisch aus
dem Beet rissen und daran kauten und kauten und den Mund voller
Schalenstreifen hatten. Konfituere aus Rhabarber mit Erdbeeren
kannten wir noch und Rhabarberwähe. Das wars denn auch schon.

Kaum ging der Monat Juni seinem Ende zu, bekamen wir Rhabarberverbot
~ so ziemlich das einzige, woran wir uns hielten. Weil wir im April
und im Mai nämlich mehr als genug davon naschten und die Stiele
immer zäher wurden. Die Eltern sprachen von Gift in der Pflanze,
und dies hielt uns erst recht dazu an, Abstand zu nehmen. Oxasäure
une Anthrachinone bilden sich ab Mitte Juni in so grossen Mengen,
dass sie schädlich sein können. Im Ersten Weltkrieg vergifteten
sich viele Amerikaner, als man sie ermunterte, Rhabarberblätter wie
ein Gemuese zu essen.

Noch viel frueher, bis zum 16. Jahrhundert, galt Rhabarber in
Westeuropa als Mittel gegen Geschlechtskrankheiten. Mehrmals täglich
mussten die Geplagten einen auf ein Drittel eingekochten Sud aus
einem Liter Wasser, einer halben Unze Petersilie und zwei Unzen
getrockneter Rhabarberwurzel schluerfen. Geholfen hats nicht.

Heute dienen die Blätter nur gerade noch als Dekoration,
beispielsweise als Platztellerrsatz auf einem sommerlichen Tisch. Man
könnte sie aber auch zusammen mit Wasser aufkochen, um Pfannen zu
entkalken.

Urspruenglich soll Rhabarber aus der Mongolei oder aus Sibirien
stammen. Bekannt war er bereits weit vor unserer Zeitrechnung. Vom
alten Name der Wolga an deren Ufern er wuchs, kommt die Silbe Rha.
Die Wolga fliesst in das Schwarze Meer. Pontos wiederum ist das
griechische Wort fuer Meer – was zusammen den Ausdruck Rhaponticum
ergibt; die botanische Bezeichnung lautet denn auch Rheum Rhaponticum.

Der Rhabarber wächst in vielen Gärten, doch ein Liebkind der
Köchinnen und Köche war er nie, ist er heute noch nicht. Dem wollen
wir fix abhelfen. Drei Rhabarberrezepte, die unbekannt sein duerfen,
habe ich Ihnen anzubieten: eine salzig-saure Suppe, eine indische
Suessspeise mit Ingwer und Gin und das einfachste Rhabarberdessert,
das zugleich vielleicht das beste ist.

:Fingerprint: 21236778,101318746,Ambrosia

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